15. Februar 2023 | Gemeindeleben Leitung

Schriftverständnis

Liebe Gemeinde, liebe Freunde und Gäste,

von Zeit zu Zeit kommt es in unserem Bund Freier evangelischer Gemeinden zu einer Standortbestimmung durch eine Stellungnahme oder Ausarbeitung der FeG-Bundesleitung. Aktuell geht es um die Frage der biblisch-ethischen Bewertung von gelebter Homosexualität. Dazu findet bis zum Bundestag im Herbst ein Gesprächsprozess statt. Mitte Januar wurde ein Entwurf zu diesem Prozess unter dem Titel „Einheit und Vielfalt“ verschickt. Darin ist ein spannender Ansatz beschrieben, der eine bessere Verständigung ermöglichen soll. Ohne auf das konkrete o.g. Thema „gelebte Homosexualität“ näher einzugehen finde ich diesen darin enthaltenen Ansatz sehr interessant und hilfreich, nämlich theologische und ethische Positionen in „Fragen und Themen erster, zweiter und dritter Ordnung“ je nach Relevanz und Wichtigkeit einzuteilen.

 

Fragen und Themen erster, zweiter und dritter Ordnung

Wie gesagt finde ich diese vorgeschlagene Unterteilung und Gewichtung allgemein hilfreich, auch bei anderen Themenfeldern. Darum geht es mir heute.

Nach dem o. g. Entwurf ist „das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Sohn Gottes oder die Rechtfertigungslehre“ eine Frage erster Ordnung. Zu den Fragen „zweiter Ordnung“ gehören zum Beispiel das Taufverständnis bzw. die Taufpraxis oder das Kirchen- und Gemeindeverständnis. Als Beispiel für eine Frage „dritter Ordnung“ wird die Frauenordination genannt.

 

Ungeheurer Meinungsdruck

Wir alle leben in einer Gesellschaft mit einem ungeheuren Meinungsdruck des Mainstreams. Da wird die Aussage von Paulus in Römer 12,2 (Neue Genfer Übersetzung) hochgradig aktuell: „Richtet euch nicht länger nach den Maßstäben dieser Welt, sondern lernt, in einer neuen Weise zu denken, damit ihr verändert werdet und beurteilen könnt, ob etwas Gottes Wille ist, …“

 

Gefährdete Zukunft der Gemeinde

In diesem Zusammenhang bewegt mich schon seit längerem eine Frage, die nach meiner Einschätzung über die Existenz und das Wohl der Jesus-Gemeinde in Zukunft entscheidend sein wird. Neben dem Jesus-Glauben und der Rechtfertigung als grundlegend wichtigste theologische Grundlage bewerte ich vor allem als grundlegend wichtig, wie wir Gottes Wort verstehen. Theologisch fachlich ist es die Frage nach dem SCHRIFTVERSTÄNDNIS. Eine erdrutschartige negative Veränderung hat die liberale Theologie z. B. durch Rudolf Bultmann (1884-1976) erlebt, der die Historizität von Jesus und damit des Neuen Testaments hinterfragte und neue Erklärschlüssel an der Universität in Marburg lehrte. Sein „Sitz im Leben“ als erste Verstehensfrage für Wunder war revolutionär. Am Ende blieb wenig vom historischen Jesus und seinen Wundern übrig. Mit ihm fiel auch die historische Auferstehung von Jesus Christus, seine Höllen- und Himmelfahrt sowie seine Wiederkunft. Damit sagte er klar und deutlich: Die Bibel enthält Gottes Wort, ist es aber in seiner Gesamtheit nicht. Seine Lehre und ähnliche Lehransätze prägten seitdem unzählige Generationen von an den Universitäten ausgebildeten Pastorinnen und Pastoren. Diese Lehren sind meiner Einschätzung nach ein Grund, warum das Interesse an Gottesdiensten seitdem stark gelitten hat.

 

Das Schriftverständnis ein „Thema erster Ordnung“

Warum ist die Frage nach dem Schriftverständnis so zentral? Ohne die Bibel würden wir kaum etwas von Jesus Christus wissen. Ohne die Bibel hätten wir kein Verständnis von Gottes umfassenden (Heils-)plan mit den Menschen durch die Erlösung von Jesus am Kreuz. Ohne die Bibel stirbt die Erwartung an den wiederkommenden Jesus, ebenso unsere Ewigkeitshoffnung. Deshalb gehören Jesus Christus und ein geklärtes Schriftverständnis aufs Engste zusammen. Die Frage nach dem Schriftverständnis ist deshalb ein „Thema erster Ordnung“.

 

Wie ist die Bibel entstanden?

Das Schriftverständnis ist direkt verbunden mit der Erklärung, wie die Bibel entstanden ist: Ist die Bibel ein Ergebnis von Menschen und ihrer menschlich-redaktionellen Erarbeitung der 66 Bücher des Alten und Neuen Testaments? Oder ist sie auf geheimnisvolle Weise unter dem direkten Wirken Gottes entstanden? Letzteres entspricht dem Selbstzeugnis der Bibel. Das Selbstzeugnis einer Quelle ernstzunehmen entspricht sogar einem wichtigen wissenschaftlichen Ansatz, historische Texte zu verstehen. Paulus beschreibt die Entstehung der Bibel in 2. Timotheus 3,16 „Denn alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben“. Er bezeichnet die Art der Entstehung als „Inspiration“, als „Einhauchung“ Gottes. Dabei entstanden die Texte nicht als mechanisches Diktat, sondern durch den Heiligen Geist unter dem Einfluss und der Mitwirkung von Menschen unterschiedlicher Bildung und mit jeweils eigener Persönlichkeit.

 

Kläre dein Schriftverständnis!

Mit der Frage nach dem Schriftverständnis, ob die Bibel auch in den schwer zu verstehenden Passagen Gottes Wort ist, steht und fällt z.B. der Sühnetod von Jesus Christus am Kreuz. Ich weiß, das ist provokant. Aber genau das wird aktuell in einigen freikirchlichen Kreisen diskutiert. Man kann sich nicht vorstellen, dass Gott so grausam sein kann und das Leiden seines Sohnes „gefordert“ hätte.

Mit diesen Zeilen möchte ich dich herausfordern, dein Schriftverständnis zu klären.

 

Mein Schriftverständnis ist, dass die Bibel in ihren Aussagen vollkommen zuverlässig und vertrauenswürdig ist. Jesus zitiert die Schriften Moses wortwörtlich mit: „Gott hat gesagt“. Vgl. dazu Mt 19,4.5. Das nur als eines von vielen Beispielen.

In allen Fragen, selbst in politischen Themen, gilt es die Frage zu stellen: Was sagt Gottes Wort? Nur wer ein geklärtes Schriftverständnis hat, wird die Irrungen und Wirrungen, denen auch die Freikirchen ausgesetzt sind, positiv überstehen.

Die Frage nach der biblisch-ethischen Bewertung der praktizierten Homosexualität hat im Übrigen auch nach Auffassung der FeG-Bundesleitung einen sehr hohen Stellenwert, weil sie eng mit klaren Aussagen des Wortes Gottes verbunden ist. Sie versteht sie deshalb als wichtige „Frage zweiter Ordnung“, die es gilt, für den Bund gemeinsam zu klären, d.h. zu einer gemeinsamen Überzeugung zu finden.

 

Unsere Gemeindeordnung und unsere Werte

Dankbar bin ich, dass in unserer Gemeindeordnung unter Punkt 2. folgende Aussage steht: „Verbindliche Grundlage für Glauben und Leben der Gemeinde ist die Bibel als das geoffenbarte Wort Gottes.“ D.h. die Bibel ist Gottes Wort und enthält es nicht nur. So haben wir es auch in unseren Werten festgehalten: „Die Bibel ist Gottes Wort und grundlegende Wahrheit.“

So tun wir gut daran, uns auch in ethischen Fragen nach den Aussagen des Alten und Neuen Testaments zu richten und die Antworten nicht nur reduziert auf das Prinzip „Glaube, Liebe, Hoffnung“ bestimmen zu lassen. Da würden wir schnell auf dem Irrweg landen. Natürlich steht die Liebe zu allen Menschen auch in Gottes Wort neben der Gottesliebe an erster Stelle. Aber wenn zur sexuellen Enthaltsamkeit aufgerufen wird, dann steckt dahinter Gottes liebende und gute Absicht. Auch wenn die Mehrheit unserer Gesellschaft das als Bevormundung oder Freiheitsberaubung sieht und lebt.

Zusammenfassend behaupte ich, dass die Zukunft der Gemeinde Jesus – wie auch deine – existenziell davon abhängt, wie treu sie dem Wort Gottes gegenübersteht bzw. wie treu du dem Wort Gottes gegenüberstehst.

Herzliche Grüße
Dietrich Ebeling

Die Bibel, bestehend aus den Schriften des Alten und Neuen Testaments, ist Offenbarung des dreieinen Gottes. Sie ist von Gottes Geist eingegeben, zuverlässig und höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung.

Das Schriftverständnis der Evangelischen Allianz (2018)